Weiden, 26th November 1900

Max Reger to Joseph Renner jun.

Object type
Letter
Date
26th November 1900 (source)
Sent location
Weiden
Source location
privately owned

Senders
  • Max Reger
Recipients
Herrn
Domorganisten Jos. Renner
Komponist
Regensburg.

Incipit
Sehr geehrter Herr College!
Vor einigen Tagen lernte ich Ihre Sonate (Gmoll) für Orgel […]

Regesta
beglückwünscht den E. für dessen gelungene Sonate g-Moll für Orgel [op. 29] • ist von der polyphonen Meisterschaft begeistert und freut sich über die »urdeutsche Haltung« in diesem Werk • klagt über deutsche Komponisten, die sich dem englischen oder französischen Orgelstil verschrieben hätten • definiert das »Deutschtum« in der Musik nicht als politischen »Chauvinismus«, sondern als »„bachisch“« • erklärt sich selbst zum Fortschrittler von »extrem „linkster Seite“«, hält jedoch jede Orgelmusik, »die nicht im Innersten mit Bach verwandt ist« für »unmöglich« • lehnt die französische und englische Orgelmusik als »„Antipoden“« Bachs ab • lobt an Renners Sonate g-Moll ausdrücklich die Fuge mit ihren Engführungen • ermuntert Renner zu weiteren Orgelwerken • übersendet ein Verzeichnis seiner erschienenen Werke und verspricht, ihn bei der nächsten Publikation mit einem Freiexemplar zu bedenken • echauffiert sich über eine Kritik zu den Marienliedern Nr. 13 und 14 [von Reger respektive Renner, vgl. WoO VI/12] in der Zeitschrift Musica sacra • hat vor, sich wegen dieser Kritik bei Franz Xaver Haberl zu beschweren
Remarks

die Sonate g-moll op. 29 von Joseph Renner (1868-1934) war 1895 bei Junne in Leipzig erschienen; für die Sammlung Marienlob. Lieder zu Ehren der seligsten Jungfrau Maria. 14 Originalkompositionen für gemischten Chor, hrsg. von Franz X. Engelhart 1901) hatte Reger das Lied Maria, Himmelsfreud’ (Wo0 VI/12) beigesteuert


Publications

Werner Huber, Leben und Werk des Regensburger Domorganisten und Komponisten Joseph Renner jun. (1868-1934). Ein Beitrag zum süddeutschen Spät-Cäcilianismus, Tutzing 1991 (= Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft, Bd. 8), S. 224-226

Regensburger Almanach 1987, S. 180

Mitteilungen des Max-Reger-Instituts 17. Heft (1968), S. 12–15 (mit Zwischen-Erläuterungen)

Alt-Bayerische Heimat (Beilage zur Mittelbayerischen Zeitung) Nr. 5 (Mai 1966)

Allgemeine Musik-Zeitung 63/20 (1936), S. 319

Neue Zeitschrift für Musik 100/3 (1933), S. 222

1.

Weiden, Oberpfalz, Allee 22, 26. Nov. 1900.

Sehr geehrter Herr College!
Vor einigen Tagen lernte ich Ihre Sonate (Gmoll) für Orgel kennen; nachdem ich mir nun das Werk (allerdings am Flügel) durchgespielt, mehrmals sehr genau durchgespielt habe, drängt es mich, Ihnen meine aufrichtige Freude über dies schöne Werk mitzutheilen. Es ist dies durchweg interessante, nie erlahmende echte Orgelmusik, wie sie heutzutage leider immer seltener geschrieben wird. Daß Sie des Kontrapunktes ja ganz u. gar Herr sind, erwähne ich nur so nebenbei, da die Herrschaft über den Contrapunkt von einem Orgelcomponisten als Grundlage verlangt wird. Was mich aber speziell so äußerst sympathisch berührt an Ihrem Werke, ist dessen urdeutsche Haltung, welche in diesem Falle (ich meine die Dedication an Guilmant) noch höher einzuschätzen ist, als Sie trotz der Dedication dem französischen Orgelstyl „kein Kompliment“ machten, sondern stets deutsch blieben. Ich begrüße jede Orgelcomponistenerscheinung, die den Stempel des reinen, unverfälschten Deutschthums an sich trägt, mit besonderer Freude, da man ja leider nur groß sehen muß, wie deutsche Orgelcomponisten den französischen u. engl. Orgelstyl nachäffen. Ich begrüße Sie daher mit besonders lebhafter Freude als einen derjenigen so wenigen, die berufen sind, die Fahne der echten „unverfälschten“ Orgelkunst hochzuhalten.
Was ich nun unter „Deutschthum“ bei Orgelmusik verstehe, ist natürlich nicht Chauvinismus – ist ganz u. gar unpolitisch; der Ausdruck Deutschthum ist für mich da eben nur „Gattungsbegriff“; wir können ebenso sagen „bachisch“; d.h. aus Bachischem Geiste geboren. Und nun; mir kann gewiß niemand nur im Geringsten rückschrittliche Tendenzen vorwerfen; im Gegenteil; ich marschiere auf extrem „linkster Seite“. Allein was Orgelmusik betrifft, so kann ich da auf Grund tiefgehendster Studien nur sagen: „Jede Orgelmusik, die nicht im Innersten mit Bach verwandt ist, ist unmöglich.“ Natürlich darf dieser Satz nicht pedantisch verstanden u. angewandt werden. Unsere französischen u. englischen Orgelcomponisten sind aber die reinsten „Antipoden“ Bachs – und muß ich deren Orgelmusik durchaus ablehnen!
Nun zu ihrer Sonate. Der 1. Satz ist ganz famos; hat mir sehr gefallen; ebenso die Romanze, in der Sie der Gefahr des „zu weichlich werdens“ sehr gut entronnen sind, und welcher Satz sehr schön klingen muß. Am besten gefällt mir die ausgezeichnete Fuge; es leben nicht viele Componisten, die Ihnen diese Fuge nachschreiben; besonderen Respect habe ich vor einigen Engführungen, die mir viel inniges Vergnügen machten! Schreiben Sie also bald wieder solch ein Werk; ich werde Ihre Sonate dementsprechend in mehreren Blättern besprechen!
Anbei gestatte ich mir Ihnen ein Verzeichnis meiner bisher erschienenen Sachen beizulegen, auf dem ich Ihnen die Orgelsachen unterstrichen habe; ich zähle meine Orgelsachen von op. 27 an. Leider besitze ich kein Exemplar mehr, sonst würde ich es Ihnen senden, dagegen sollen Sie sicher bei der nächsten Publikation bedacht werden. (3 Orgelwerke [Opus 52] sind im Stich). Deshalb muß ich Sie schon bitten, sich die für Sie in Frage kommenden 3 opera 29 (bei Rob. Forberg in Leipzig) und 33 und 46 (bei Jos. Aibl Verlag in München) selbst anschaffen zu wollen. Das Verzeichnis gibt über alles Auskunft. Das nächstemal sende ich Ihnen sicher ein Exemplar. Nehmen Sie mir das also nicht übel.
Die Kritik in Musica sacra Nr. 11 über die Sammlung Marienlieder bei Cohen in Regensburg erschienen, habe ich gelesen. Da ja Sie und ich als die Componisten Nr. 13 und 14 so schön da mitgenommen wurden von einem Herrn, den ich nicht kenne, von dem ich aber nur annehmen kann, daß er sehr beschränkte Begriffe hat, so wollte ich zuerst an Dr. Haberl schreiben und ihm ein „Licht“ über diesen Kritiker aufstecken. Allein dachte ich mir, bei den jetzigen Chinesischen Wirren ist es ja leicht möglich, daß sich ein Kuli nach Deutschland verirrt und in Zeitungen sein Unwesen treibt. Es ist aber traurig für ein Blatt, wenn es solche Mitarbeiter hat.
Ihnen nochmals meine herzlichste Freude über Ihre famose Orgelsonate ausdrückend

Ihr
hochachtungsvollst
ergebenster
Max Reger

Bitte um genaue Mittheilung Ihrer Privatadresse.

Object reference

Max Reger to Joseph Renner jun., Weiden, 26th November 1900, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007040.html, last check: 8th May 2024.

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