Weiden, 27th June 1900

Max Reger to Ella Kerndl

Object type
Letter
Date
27th June 1900 (source)
Sent location
Weiden
Source location
DE,
Meiningen,
Meininger Museen,
Sammlung Musikgeschichte/Max-Reger-Archiv,
Br 011/4

Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Hochgeehrtes gnädiges Fräulein!
Besten Dank für Ihren freundlichen Brief. Verzeihen Sie nur, wenn ich […]

Regesta
dankt für das Üben der Lieder und den Einsatz der E., eine Sängerin zu finden • op. 45 wird gerade gedruckt • sendet der E. ein Verzeichnis seiner Werke • lobt sein Blüthner-Flügel • »Ich selbst bin ein schlechter Klavierspieler« • erzählt eine Begebenheit von dem 1. bayerischen Musikfest, in dessen Vorfeld Prof. Oechsler, der ein Reger-Werk spielen sollte, sagte: »„Die Regerschen Orgelkompositionen sind es nicht wert, daß man sie spielt!“« • hat gerade Klarinettensonaten op. 49 beendet und arbeitet an Violinromanzen op. 50 und [drei Choralphantasien] op. 51 [später: op. 52], plant auch ein Konzert für Orgel mit großem Orchester [WoO I/7] • ist froh, dass sich einige Organisten mit seinen Werken beschäftigen und bedauert, dass sich Sängerinnen und Sänger nicht für seine Lieder interessieren • »Na, „reißerig“ schreibe ich eben nie! Unser Weg im Lied ist die denkbar subtilste Interpretation der geheimsten lyrischen Stimmung!« • nebenbei überträgt er Lieder von Schumann für Klavier [Schumann-B3] • ist enttäuscht über die neuen Gedichte von Anna Ritter, aber auch die Texte von O. J. Bierbaum lassen nach • bittet die E. op. 32 aufzuführen • beschreibt seine Bearbeitungen der Bach’schen Choralvorspiele [Bach-B4]
Remarks
Referenced works
  • Ausgewählte Choralvorspiele Bach-B4
  • Zwei Romanzen op. 50
  • Drei Choralphantasien op. 52
  • Zwei Sonaten op. 49
  • Sechs Intermezzi op. 45
  • Sieben Charakterstücke op. 32
  • Lieder Schumann-B3
  • Orgelkonzert WoO I/7

Publications

Musikerbriefe, hrsg. von Ernst Bücken, Leipzig u. Wiesbaden 1953, S. 484f.

Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 75f.

1.

Weiden, bayerische Oberpfalz, Allee 22, 4. Juli 1900.

Hochgeehrtes gnädiges Fräulein!
Besten Dank für Ihren freundlichen Brief. Verzeihen Sie nur, wenn ich denselben erst heute beantworte; ich bin so mit neuen Sachen beschäftigt. Nehmen Sie vorerst meinen besten Dank, daß Sie die Lieder durchgenommen haben u. mir die Adresse der Damen mittheilten! Ich sandte Ihnen doch auch meine Lieder op 43! Selbe haben Sie nicht durchgenommen? Nämlich, ich schließe das, weil Sie keines dieser Lieder in Ihrem Briefe erwähnten. Ob Aibl op36 u 44 schon an Musikinstitute entsandt hat, weiß ich nicht! Ich kann ihn ja mal “reizen” dazu! Die Ihnen dedicierten Intermezzi op 45 sind im Stich! Sie erhalten selbstredend sofort nach Erscheinen Exemplar. Ich gestatte mir, Ihnen das neueste Verzeichnis meiner Sache beizulegen, wo Sie aus der Rückseite es bestätigt finden. Daß Ihr Bösendorfer so schön ist, freut mich ganz außerordentlich! Nun, da geht man mit viel mehr Liebe zum Musicieren. Ich bin mit meinem Blüthner auch sehr zufrieden. Ich selbst bin ein schlechter Klavierspieler, da ich nie Zeit habe zum Üben! Nun wollen Sie Sich ja ganz in Büchern “vergraben” für den Sommer; bitte, wenn Sie in Böhmen sind, theilen Sie mir von dort aus Ihre genaue Adresse mit; denn die Intermezzi werden Anfangs August erscheinen; sodaß ich Ihnen dieselben noch nach Böhmen senden kann! Ruhen Sie Sich nur gehörig aus! Daß Bach-Reger sich auf dem Wege der Besserung befindet, freut mich sehr.
Nun muß ich Ihnen eine fidele Geschichte erzählen. In Nürnberg war diesen Juni das 1. bayerische Musikfest, u. da wurde Königlicher Universitätsmusikdirektor Professor Oechsler in Erlangen vom Comité aufgefordert, ein Orgelwerk von mir beim Musikfest zu spielen. Der Herr erklärte aber: “Die Regerschen Orgelkompositionen sind es nicht wert, daß man sie spielt!” Natürlich unterblieb die Sache; unterdessen erzählten und versicherten mir die maßgebenden Herren aus Nürnberg, daß der Herr Professor zu faul u. unfähig überhaupt sei, meine Sachen zu spielen. Ich schrieb deshalb vorhin seinen Titel ganz aus! Na, Schwamm drüber.
Nun habe ich vollendet op 49 Zwei Sonaten (As Dur & Fis moll) für Klarinette u. Pianoforte; in Arbeit sind 2 Romanzen für Violine mit Orchester op 50, von denen 1 schon fix u. fertig ist. (39 Seiten Orchesterpartitur) sodann kommen trotz Herrn Prof. Oechsler op.51 [= op. 52] 3 große Phantasien für Orgel. Auch ein Konzert für Orgel mit großem Orchester habe ich vor. Ich bleibe während des ganzen Sommers hier u. werde emsigst schaffen. Gott sei Dank haben sich nun schon einige Organisten gefunden, die sich feste mit meinen Orgelsachen beschäftigen. An die Lieder wollen die Sänger u. Sängerinnen nicht recht ran! Na, “reißerig” schreibe ich eben nie! Unser Weg im Lied ist die denkbar subtilste Interpretation der geheimsten lyrischen Stimmung! Allein bis man die Sänger u. Sängerinnen so weit hat, da dauert es noch eine ziemliche Zeit. Soeben habe ich auch begonnen eine Auswahl von R.Schumann!Liedern für Klavier allein zu übertragen; das mache ich so nebenbei. Nun wünsche ich nur, daß Sie recht gute Schüler haben nächsten Winter. Übrigens las ich letzthin in einer Musikzeitung bestätigt, daß Ihre Partner beim Trio Ihnen nicht entsprachen; es ist recht fatal, wenn man Leute hat, auf die man sich nicht verlassen kann.
Haben Sie nun doch schon einige Leute dazu gekriegt, sich Reger zu kaufen? Sehr enttäuscht hat mich Anna Ritter letzthin mit ihrem neuen Gedichtbuche „Befreiung“! Da war aber auch nichts drin, das an ihre früheren Sachen heranreichte! Ein Dichter lebte, von dem man sich sehr viel an komponierbaren Texten erwarten kann; das ist O.J.Bierbaum - allein mir scheint der Herr hat sich in letzter Zeit etwas zum “Wohlleben” geneigt u . produziert lange nicht mehr mit jener idealen Weichheit u. Keuschheit, wie er sie in den Texten Traum durch die Dämmerung, Flieder Frauenhaar hat. Sehr schade! Verzeihen Sie nur den kleinen Flecken, den ich von meinem Frühstück, eine Tasse Bouillon da unglückseliger Weise machte; es scheint ein Tropfen auf meinen Schreibtisch gefallen zu sein. Nun gestatte ich mir noch die Bitte, bei Ihrem nächstjährigen Programmen mein op 32 nicht zu vergessen. Das Wiener Publikum ist ja sehr konservativ! Allein “Ohrenkrankheiten” wird meine Musik hoffentlich dann doch nicht verursachen.
Die Choralvorspiele von Bach, welche Sie auf dem Verzeichnisse finden u. die balde ebenfalls erscheinen, habe ich ganz einfach übertragen; ich habe da nur eben rein “mechanisch” gearbeitet. Jede Zutat ist da von Übel, u. würde auch die Sache zu schwer machen. Selbstredend erhalten Sie dieselben sofort nach Erscheinen!
Nehmen Sie zum Schlusse meinen besten Dank entgegen was Sie für meine Werke thun u. mit der Bitte mir Ihre genaue Adresse für Böhmen mitzutheilen u wie lange Sie dort sind.

Ihr
mit vorzüglichster
Hochachtung
ergebenster
bestens grüßender
Max Reger

2.

–––––––––––––––––

3. Nachweise

1
1

1
Emil Krause Max Reger. Eine Studie in Neue Zeitschrift für Musik 67. Jg. (1900), Nr. 14, S. 165ff.
Object reference

Max Reger to Ella Kerndl, Weiden, 27th June 1900, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01001026.html, last check: 6th December 2024.

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