Kolberg, 23rd August 1913

Elsa Reger to Fritz Stein

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23rd August 1913 (source)
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Kolberg
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1.

Kolberg, d. 23. Aug. 1913.
Hucke 15.

Lieber Freund!

Bitte kommen Sie so bald Sie können, damit mein Mann dann mehr spazieren geht. Er arbeitet von 9–12, dann badet u. ißt er, von 2–6 arbeitet er wieder; oft gönnt er sich die eine Erholungsstunde von 6–7 nicht mal Abends, von 8–11 Uhr Nachts arbeitet er wieder. Das ist seine Erholungszeit u. er hat wieder solch rasend anstrengenden Winter vor sich. Wo soll das hin, wenn er sein armes Gehirn so überanstrengt? Gewiß kann er viel mehr als andere an Arbeitskraft leisten, ich weiß das wohl, aber darauf sündigt er auch. Ich sorge mich so unsagbar, daß er von den abnormen Anstrengungen im Winter u. Kopfarbeit jetzt doch mal einen Nervenschock in Jahr u. Tag bekommt.1 Er ist bester Laune, freut sich unendlich auf Sie, aber er gönnt sich aber trotzdem zu wenig Erholung, wenn er auch behauptet, ihm sei „sauwohl“. Ja, jetzt noch.
Sie lieben ihn u. können ihn vielleicht etwas rausreißen, wenn Sie hier sind. Heute ist es so herrlich u. er sitzt in der Veranda u. schafft wie toll, will nicht spazieren gehen; es rosten einem die Knochen schon ein.
Ade, Ihnen Allen 1000 Grüße von Ihrer getreuen
ER.

Das Bild von Märtel ist goldig, wie halt der ganze Bub einzig lieb ist, ein Sonnenkinderl. Vom 1. Sept. können Sie nebenan, Hucke 14 bei Laske’s wohnen; Sie frühstücken etc. bei uns, Mittag essen wir im Hôtel; nicht kostspielig.
Zu schade, daß Gretel nicht mitkommt, hoffentlich im Jahre 1915 dann hier.

2.

Meiningen. d. 16. Aug.
1914.

Liebste Gretel.

Eben kommt Max aus Leipzig u. sagt mir, daß er das Requiem nicht fertig schreibt, Straube hat ihm bewiesen, daß er dem Stoff nicht gewachsen ist u. nun kann er es nicht fertig schreiben. Ich bin ganz außer mir. Straube mit seinem kühlen, zersetzenden Geist beraubt uns um ein herrliches Werk. 1/4 Jahr höre ich es, u. weiß doch so viel, daß es groß u. schön ist. Wie oft 5–6 Male weiß ich allein, hat Straube Werke von Max verworfen, die dann groß u. herrlich waren u. ihren Weg gingen. Straubes Einfluß ist nicht gut auf Max; ich kann es nicht verwinden, daß er ihm den Glauben nahm, solch Werk schaffen zu können. Es ist das Einzige, wenn ein Meister ein Werk schafft, soll er am Werke still daheim bleiben, bis es vollendet ist, sich beim Werke unter keinen fremden Einfluß stellen. Wer als Reger kann uns ein Requiem schaffen? Ist es nicht Sünde in diesem Meister den Zweifel zu wecken u. ihm ein fast fertiges Werk als nichtig hinstellen? Er wird dies Werk, entstanden in dieser großen Zeit nie vollenden, da St. ihm die Freude daran getötet. Ihr Fritz schreibt aus dem Felde „laß Dich durch nichts aufregen u. ablenken von diesem großen Werk“, nun liegt es zertrümmert am Boden u. Max ist ganz darnieder. Solche selischen Stimmungen sind ja aber in anderer Hinsicht von so unsagbarer Gefahr; an all das denkt St. gar nicht. Er ist eben eine kalte, ewig zergrübelnde Natur. Diese That verzeihe ich St. nie. Senden Sie Fritz meinen Brief; er soll ganz klar sehen, aber nicht an Max schreiben, wie maßlos traurig ich bin u. wie empört über St. Fritz schreibt mir durch Sie bitte, was er empfindet beim Todesstreich den St. auf das Requiem gethan. St. hat nicht den Einfluß auf Max der zum Segen wird. 1000 Grüße
Ihre tief traurige Elsa.

Ich leide so unsagbar um Max’ Werke; ich glaube, Sie u. Fritz verstehen, wie ich das meine.


1
Am 28. Februar 1914 erleidet Reger nach einem Konzert in Hagen tatsächlich einen Nervenzusammenbruch.
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Elsa Reger to Fritz Stein, Kolberg, 23rd August 1913, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01005595.html, last check: 9th December 2024.

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