München, 20th July 1905
Max Reger to Karl Straube
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- Max Reger
Liebster Carl!
Schon lange wollte ich Dir schreiben – allein Du weißt ja: meine Zeit!!!!!! […]
- Schlichte Weisen op. 76
- Sonate C-dur op. 72
- Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Adam Hiller op. 100
- Vier Sonatinen op. 89
- Sinfonietta A-dur op. 90
- Sonate fis-moll op. 84
Max Reger, Briefe an Karl Straube, hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 10), S. 90–93
1.
Liebster Carl! Schon lange wollte ich Dir schreiben – allein Du weißt ja: meine Zeit!!!!!! Nun kommt soeben Dein Brief: daß Karl Hasse kommt,ist hocherfreulich; gerade solche Leute kann ich brauchen; ich danke Dir sehr dafür! Also: Herr Hasse möchte sofort per eingeschriebenem Brief an das
Sekretariat der Kgl. Akademie der Tonkunst
zu München
Kgl. Odeon
schreiben, daß er kommenden Herbst (am 16. September) als Schüler eintritt u. zwar
a) Theorie als Hauptfach
b) Orgel als Nebenfach! (Klavierunterrricht erhält er dann sowieso)
Dabei muß Herr Hasse aber auf das Nachdrücklichste in seinem Schreiben betonen, daß er den sämtlichen Theorie- und Orgelunterricht bei mir haben will! Im Interesse des Herrn Hasse selbst ist es gelegen, wenn er baldigst (eingeschrieben) dahin schreibt u. zwar genau so wie ich angegeben habe! (Es könnte evtl. passieren,daß meine Klasse überfüllt werden!)
Ist er (Hasse) mal Schüler bei uns, so werde ich für alles Andere schon sorgen. Betreff Mottl – Dirigieren – Hasse werde ich natürlich alles thun, um die Sache ins „richtige Geleise“ zu bringen, u. im Porgesverein werde ich ihn schon ranholen! Es ist selbstredend, daß ich mich für Hasse bestens interessieren möchte u. werde, denn ich will Leistungen hervorbringen – bisher war’s ja ein Elend an der Akademie!
Wir kommen am 2. August früh in Leipzig an, wohnen bei Lauterbach Gautzsch-Leipzig, Charlottensraße, Villa Lauterbach; Ihr wollte ja am 4. August nach Leipzig zurückkommen u. könnten wir dann den 5. u 6. August gemütlich zusammen verleben, was sehr fein wäre; am 7. August in aller Frühe fahren wir nach Colberg a. Ostsee,wo ich schon (am Meer direkt gelegen) Wohnung gemietet habe! Die Hauptsache ist nun, daß Ihr am 4. August sicher kommt, damit wir 5.u.6.August zusammen verleben können – denn wir haben extra unsere Reise so gelegt, daß wir Euch in Leipzig am 5.u. 6. August haben können! Also am 4. (nicht später) kommt Ihr nach Leipzig!
Kritiken aus Heidelberg hab’ ich Betreff: Engagement – München, so entscheidet da nicht Mottl allein, sondern noch andere Herren! Ich thue selbstredend mein Möglichstes! Sollte die Sache nicht zum Klappen kommen, so bin ich nicht dran schuld, sondern eben die Verhältnisse d.h. eben der Widerstand gegen mich persönlich!
op. 84 (die Fismoll-Sonate) ist viel „menschlicher“ als op. 72; ich hab’ op. 84 genau nun angesehen; es lassen sich alle, selbst die intrikatesten Stellen musikalisch so hinlegen, daß eine „runde“ Linie entstehtu. „eingänglichere“ Linien herauskommen, so daß schließlich op. 84 musikalisch ganz zahm, d.h. für den Durchschnittsmenden „entgegenkommenderes“ hat! op. 72 wird immer nihilistisch wirken, so lange unsere harmonisch so engherzige (durch Wagner!) u. in Bezug auf Logik nicht „gerade“ denkende u. fühlende Generation lebt! Gerade op.72 ist mit größter Logik selbst in den scheinbar „tollsten Dingern“ geschrieben!
Betreff Istel! O nein – aufregen – das ist der Kerl nicht wert! Ich bedauere nur meinen edelsten Körpertheil (die „Erziehungsfläche“) daß dieser Theil von Istel so fleißig mit der Zunge bearbeitet wird! Das sind meine Gefühle gegenüber diesem Judenbengel!
Die „Alten Meister“ kommen selbstredend feste dran! Daß Sinfonietta [op. 90] gleich im 1. Winter so oft gemacht wird, hätte ich mir nicht träumen lassen! Soebenhabe ich die Abzüge des 3. Satzes fertig korrigiert! Am 20. kommt der 4. Satz; am 1. August ist nun die ganze Partitur durchgesehen!
Wenn ich von Colberg zurückkomme, gehe ich sofort über ein neues Orchesterwerk u. werde dabei versuchen, das Problem der Orchesterfuge (als Schluß einer Variationsreihe) zu lösen! Natürlich muß diese Fuge in anbetracht des Rokokothemas das Zierlichste werden, was sich nur denken läßt!
Die neuen „Schlichten Weisen“ [op. 76 Bd. II] hab’ ich nun auch in Korrektur da; selbe gehen ebenfalls baldigst zurück; das alles nehmen wir dann durch, wenn wir uns am 5. u. 6. August in Leipzig treffen, worauf ich mich sehr freue! Lauterbach u. Kuhn werden mit dem 2. Band der „Schlichten Weisen“ ohne Zweifel ein Bombengeschäft machen!
v. Schuch in Dresden macht ja Sinfonietta auch wie Steinbach in Cöln; Schuch ist ja nach meinem D Moll-quartett [op. 74] (Petri) ganz arger Regerianer geworden! Nun wüßte ich nicht mehr viel Neues, als daß ich Hermann Wolff meine ausschließliche Concertvertretung übertragen habe u.da nun absolut sicher bin nach besten Kräften gefördert zu werden!
Frau Louis Wolff, die Du ja auch kennst u. die ja da allmächtig ist, geht für mich – wie man so zu sagen pflegt – durchs Feuer!
Allerdings – à discretion – bin ich „helle“ genug, um nicht zu wissen, daß Frau W. das jetzt thun, nachdem doch jetzt nicht viel mehr zu riskieren ist, wenn man Reger fördert - außerdem kalkuliert die Dame ja auch sicher, daß es ihrem Concertbureau auch nicht gerade zur Unehre gereicht, wenn es mit mir arbeitet! ich bitte Dich aber letztere Mittheilungen à strengste Diskretion gegen jedermann!
Es hat sich ja viel geändert,u. die Zeiten, in denen ich im Lager Schillings-Thuille u. deren weitverbreitetem Anhang als lediglich lächerliche Figur in musikalischen Dingen erachtet wurde, sind nicht 1 1/2 Jahre her! Mit wurde das von Mitgliedern dieser „Aktiengesellschaft für angewandte Impotenz“ ja selbst bestätigt! Und Istel’s u. Abendroths Betragen ist ja nur das Spiegelbild der Ansichten von Thuille u. Schillings über mich! Daß ich jemals nur einigermaßen musikalisch in die Höhe käme, daß man mich überhaupt jemals als Komponisten nur im Geringsten ernst nehmen könnte – diese Möglichleit war ja für Schillings, Thuille u. deren Trabanten Louis ein Ding der Unmöglichkeit, direkt absurd! Ich besitze nun aber fideler Weise gerade über diese Sache die Originaläußerungen der oben genannten Herren in direktester Tradition! Der verstorbene Neff war s.Z. eben sehr, sehr unvorsichtig mit seinen Äußerungen. Thuille ist natürlich in der Akademie eitel Liebe u. Honigsein zu mir samt den anderen Herren, –ich weiß aber nur zu gut, daß sie mich alle (mit sehr, sehr wenigen Ausnahmen) im Lehrerkollegium in der Akademie in die Hölle verwünschen, besonders nachdem es doch jetzt nicht mehr gut geht, in den Stunden in der Akademie öffentlich mich lächerlich zu machen, wie es thatsächlich bis letzten Dezember geschehen ist! Ich habe aber den Herren bei Antritt meiner Stellung sofort einen nicht mißzuverstehenden Wink mit dem Zaunpfahl gegeben, was u. wie viel ich von ihnen halte, indem ich nicht einen Besuch machte! Sollte einige der Herren vielleicht gar der Ansicht sein, daß ich nur aus Bescheidenheit die Besuche nicht machte, so lasse ich die Herren in diesem Glauben – denn, wer so dumm ist, der ist gestraft genug. Nun lasse Dir Deine Ferien gut bekommen; hoffentlich hast Du Zeit, Dich gründlichst zu erholen!
Mit viel schönsten Grüßen von meiner Frau u. mir an Dich, Deine holde Gattin u. höflichsten Empfehlungen an Deine Schwiegereltern Dein Max Reger
perverser Musiker nach Ansicht des Herrn Dr. Louis, welche Ansicht ich demnächst zum Gegenstand einer Analyse machen werde – das wird zum Brüllen! Meine Schwiegermutter ist in Schneewinkl, die alte Tante Resi ist recht schwach u. alt geworden; kann nicht mehr gehen, muß getragen werden etc. etc. hilflos wie ein Kind!
Auf unser Wiedersehen am 5. u. 6. August in Leipzig freue ich mich sehr! Wir fahren am 1. August nach Leipzig.
Object reference
Max Reger to Karl Straube, München, 20th July 1905, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007676.html, version 3.1.4, 2nd May 2025.
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