Königswiesen, 8th August 1887

Max Reger to Adalbert Lindner

Object type
Letter
Date
8th August 1887 (source)
Sent location
Königswiesen
Source location

Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Geehrtester Herr Lehrer! Geehrte Frau Lehrer!
Ich kam Samstag ganz wohl in Königswiesen an. Emma, welche jetzt besser aussieht, hatte eine große Freude, als ich kam. […]

Regesta
zu Gast bei der Familie seines Patenonkels Johann Baptist Ulrich, wo er viel Klavier und Harmonium spielt • Harmoniumspiel von der Tante nicht gern gesehen, da sie um das Instrument fürchtet • überlegt, Noten beim Regensburger Musikalienhaus Bössenecker per Abonnement zu leihen • berichtet ausführlich über Messbesuch im Regensburger Dom, beklagt die Qualität der dortigen Orgel »in einem Hauptsitz cäcilianischer Kirchenmusik« • hat [Brahms’] 2. Rhapsodie [op. 79] von der Regimentskapelle gespielt gehört • berichtet über Kaufabsichten eines neuen Klaviers • berichtet über alltägliche Begegnungen und Erlebnisse • die Patentante bezeichnet sein Klavierspiel als »wohl geläufig aber recht forciert«
Remarks
Referenced works
  • Haus- und Kirchenmusik op. 79

Publications

Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 32–35

Der neue Tag (Weiden), 18. März 1993

Der neue Tag (Weiden), 16./17. März 1991

Eberhard Kraus, „mit der Bitte um strengste Diskretion…“ Regensburg in Max Regers Briefen - zum 70. Todestag des Komponisten, in: Regensburger Almanach 1987, hrsg. von Ernst Emmerig, Regensburg 1986, S. 188

Konrad Ameln u. Hans Schnoor, Deutsche Musiker. Briefe · Berichte · Urkunden, Göttingen 1956, S. 369f.

Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 14-16

Adalbert Lindner, Max Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und künstlerischen Werdens, Stuttgart 1922, S. 40-42

1.

Königswiesen, 8. 8. 1887
[Gedruckter Briefkopf:]

Königswiesen, 8. August 1887.
J. B. Ulrich
Königswiesen
Post Prüfening bei Regensburg

2.

Geehrtester Herr Lehrer!
Geehrte Frau Lehrer
Ich kam Samstag ganz wohl in Königswiesen an. Emma, welche jetzt besser aussieht, hatte eine große Freude, als ich kam. Sind Sie, geehrter Herr Lehrer, Frau Lehrer, u. die kleine Luise immer gesund u. wohl? Ich wünschte Ihnen die Königswiesener Milch.
Das Klavier ist nicht viel besser als das unsrige. Das Harmonium steht im Klavierzimmer. Ich habe noch sehr wenig Harmonium gespielt.
1. Heuer sind alle Musikalien für Harmonium verschwunden
2. Frau Pate sieht es nicht gerne. Sie glaubt immer, ich würde etwas ruinieren. (Papa schrieb mir, daß Hr. Heindl nichts mehr über den Klavierkauf geschrieben hätte.!?!?) Bei Bössenecker war ich noch nicht. Ich weiß nicht ob ich mir ein Abonnement nehmen soll. Raten Sie mir! Ich könnte freilich die Klavierstücke, welche Herr Glötzner Papa aufgeschrieben hat, bekommen, nämlich Händel 12 Klavierstücke, Scarlatti 18 Stücke, Ph. E. Bach 6 Sonaten, Heller op 47, 46, 45, Raff op 75. Aber ich glaube, daß ich durch ein Abonnement meine Kräfte zu sehr zersplittere. Sonntag den 7. August hörte ich einer gesungenen Messe im Dome zu. Sie hat mir wenig gefallen. Die Stimmenverteilung war so ungleich. (Tenor viel zu stark, Sopran zu schwach). Die Orgel hat wenig Wind. Ich verstehe nicht, wie man sich in einem Hauptsitz cäcilianischer Krichenmusik mit einer solchen Orgel begnügt. Die akustischen Verhältnisse sind sehr ungünstig.
Der Herr Domorganist spielt ein wenig rasch. In Weiden würde sich sein Spiel wahrhaft großartig ausnehmen. Aber in Regensburg?!! Wenn er die Kadenz in Esdur ganz langsam spielt, so klingen die Töne des Esdurakkordes nach. Er nimmt aber As Sextaccord darauf. Nun das Stimmengewirr. Nun B dur u. wieder Esdur. Der 1. Esduraccord klingt immer noch nach. Sie können sich also vorstellen, was das für eine höllische Musik ist, wenn alle Töne der 4 Accorde noch immer klingen. Und erst bei längerem Spiel! Die Responsorien werden höchst eigentümlich genommen. (Oft Liszts Akkordfolgen) (Fast immer wird mit einem Mollakkord geendet. Die Sopranisten und Altisten waren größtenteils in Ferien. Daher die schwache Besetzung. Sonntag vor 8 Tagen hätten Sie in Regensburg sein sollen. Ich hörte im Vorbeigehen am Guldengarten das Motiv [Notenbsp.] aus der 2. Rapsodie [Johannes Brahms op. 79]. Mein Kamerad Robert [Reichenberger], ein Vetter von mir, mußte mit stehen bleiben. Die Rhapsodie wurde von der Regimentskapelle wahrhaft vorzüglich gepielt. Den Doppeltriller [Notenbsp.] ließen sie wohl aus. Das Tempo giusto sehr schnell, ungefähr Viertel = 150. Die Sextolen auf cis in der Friska dieser Rapsodie wurde mit bewunderungswürdiger Genauigkeit gespielt. Das Tempo Viertel = 150 ist bei Militärmusiken leicht ausführbar. Frau Pate glaubt immer die Stelle in der Rapsodie Nr 2 [Notenbsp.] etc. sei ein Walzer. (Einer bei einem 2 teiligen Takte?!!!)
Dienstag spielte ich bei Herrn Lehrer Zahn einen Blüthner Flügel. Ich weiß nicht, bin ich nicht für den schwachen, sentimentalen, durchaus kraftlosen Ton beanlagt oder habe ich recht. Mir hat dieser Flügel nicht gut gefallen. Dazu kostet dieser Flügel 1500M das Pianohaus des H. Meyers ist viel besser. Der Ton ist im Vergleich zum Blüthnerflügel brillant, die Mechanik besser. Dieser Flügel wird gar nicht gespielt?! Preis!?
Hr. Onkel Alex sagte, daß der Flügel d. Herrn Pate im Anfang ein wenig metallisch gehe (Ich weiß nicht, was er darunter versteht, wahrscheinlich eine schwerere Spielart gegen ein Spinett.) (Onkel Alex hat solche Finger, daß mein kleinster Finger so stark u. kräftig ist wie sein mittlerer.) Sonntag den 8. August begegnete mir auf dem Emmeramsplatze Herr Haller. Dieser Herr sieht seinem Außeren nach keinem Genie gleich. Er hinkt sogar. Als ich zu Robert sagte: „Du, aber Herrn Haller sieht man sein Kompositionstalent nicht an,“ sagte dieser: „Ja, die meisten großen Männer sehen von Außen dumm aus.“ Ich habe ihn schon viel geneckt damit. Frau Pate sieht es nicht gern, wenn ich in die Stadt gehe. Ich setze es schon durch, daß ich hineinkomme.
Sie haben gemeint, Frau Pate solle mir das Abonnement zahlen. ! O! Neulich habe ich angespielt darauf. !Nichts! Wenn das Lehrerfest ist, so kommen Sie doch hinaus nach Königswiesen. Denken Sie Sich, ich fand neulich sämtliche Quartette v. Beethoven elegant gebunden (4händig). Vom Kaisermarsch, Scherzo v. Chopin ist keine Spur zu sehen. Ein Urteil noch über mein Klavierspiel u. zwar von Frau Pate. Sie sagt, ich spiele heuer wohl geläufig aber recht forciert. Wahrscheinlich sagt sie das, weil ich mit Handgelenkübungen ihr Klavier schrecklich hernehme.
Jeder Tag ist gleich dem andern. Um 5 Uhr aufstehen. Dann werde die Schlafgenossen herausgetrommelt mit dem ewigen [Notenbsp.] u. Cramers Etüden. Abends vor dem Niederlegen muß ich noch ein Weilchen spielen. Was ich da so zusammenspiele, ist grausig. Da wird auf scheußliche Akkordverbindung gejagt (Z.B. A dur, Es dur, u. die Sequenzen dieser Verbindungen, chromatisch) Was Frau Pate dazu denkt –?
Luise sollte in Königswiesen sein. Da könnte sie mit Don u. Watsch schön spielen. Auch Ihnen u. Frau Lehrer thäte die gute Luft u. die gute Milch wohl. Unter vielen Grüßen an Sie, geehrter Herr Lehrer, Frau Lehrer u. Luise bin ich
Ihr
ewig dankbarer Schüler
Max Reger.

Entschuldigung Herr Lehrer meine schlechte Schrift.
Ich mußte nämlich mit einer – Kanzleifeder
schreibern. Bitte nochmals um Entschuldigung. Papier!

Object reference

Max Reger to Adalbert Lindner, Königswiesen, 8th August 1887, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007880.html, version 4.0, 18th December 2025.

Information

This is an object entry from the RWA encyclopaedia. Links and references to other objects within the encyclopaedia are currently not all active. These will be successively activated.