Martha Remmert
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Martha Remmert1 wurde am 4. August 1853 als Tochter eines Gutsverwalters im niederschlesischen Groß-Schwein (heute:Duża Wólka) geboren. Sie erhielt Klavierunterricht im nahegelegenen Glogau bei Ludwig Meinardus (1860-65), dem Chorleiter der Glogauer Singakademie, sowie Wilhelm Tappert (1865–66), einem Schüler von Theodor Kullak. Nach ihrer Konfirmation gelangte sie, möglicherweise um sich zur Diakonissin oder Krankenschwester ausbilden zu lassen, nach Berlin, wo sie bei ihrer Großmutter Friederike Remmert wohnte. Anfangs gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern, welche ihr die “ernsthafte Beschäftigung mit Musik”2 verboten hatten, wurde Remmert, vermutlich auf Empfehlung Tapperts, Schülerin Kullaks an der von ihm geleiteten Neuen Akademie der Tonkunst (1868–1871). Einige Unterrichtsstunden erhielt sie zudem vom berühmten Liszt-Schüler Carl Tausig, der jedoch bereits im Juli 1871 starb.
Im Sommer 1871 besuchte Remmert erstmals die legendären Sommerkurse von Franz Liszt in Weimar, die seit 1869 in dessen privaten Wohnräumen in der Hofgärtnerei stattfanden. Bis zu Liszts Tod 1886 absolvierten etwa 250 – unterschiedlich gut ausgebildete und talentierte – Schülerinnen und Schüler diese Meisterkurse. Anders als die meisten von ihnen, die sich nur zeitweilig bei Liszts Anwesenheit in Weimar aufhielten, zog Remmert ab 1872 dauerhaft in die Stadt an der Ilm. Sie gehörte zum kleinen Kreis der Meisterschülerinnen und -schüler und bekam auch abseits der überlaufenden Kurse insgesamt wohl mehr als 1000 Unterrichtsstunden von Liszt.3 Bereits im August 1871 trat Remmert bei den Sonntagsmatineen auf und fand, wie der mit Liszt befreundete Organist Alexander Wilhelm Gottschalg berichtete, beim Meister, “als ein „entschiedenes Claviertalen“, freundliche Aufnahme […] Die fragliche junge Virtuosin besitzt, neben schon vortrefflich ausgebildeter und ausgeprägter Technik namentlich Dasjenige, was einzig und allein dem wahren Künstler die rechte Weihe gibt: verständige und poetische Auffassung, Gefühlswärme, gepaart mit Feuer und Energie.”4 Remmert begann eine intensive Karriere als Konzertpianistin und absolvierte allein bis 1890 ca. 400 Auftritte.5 Dabei bereiste sie ca. 350 Städte in Deutschland und unternahm, stets auf eigene organisatorische Verantwortung, Konzerttourneen nach Dänemark (1883), in das Osmanische Reich (1886/67), nach Russland und nach England (1887/88).6 Zwischen den Reisen kehrte sie nach Weimar zurück, wo ab ca. 1874 auch ihre Eltern und die Schwester Gertrud lebten.7 Letztere besuchte ebenfalls Liszts Kurse und arbeitete später unter anderem als Porträtmalerin.
Liszt betätigte sich sich mehrfach als Mentor Martha Remmerts: So verschaffte er ihr 1872 Zugang zum Allgemeinen Deutschen Musikverein (ADMV), auf dessen Tonkünstlerversammlungen sie ab 1874 mehrfach auftrat. Er führte die Pianistin in die Künstlerkreise von Budapest ein (1876/77) und stellte den Kontakt zu seinem Freund Fürst Felix von Lichnowsky her, der Remmert in deren Sommerpausen als Klavierlehrerin für seine Kinder auf Schloss Grätz (heute: Hradec nad Moravicí) in Mährisch-Schlesien engagierte (1876–1884). Im Gegenzug machte sich Remmert als Interpretin um die Verbreitung von Liszts Oeuvre verdient. Dieter Nolden dokumentiert fast 500 Aufführungen von Werken und Bearbeitungen Liszts, die mehr als 40 Prozent von Remmerts Konzertrepertoire ausmachten.8 Besondere Aufmerksamkeit erlangte sie mit der Interpretation des Totentanzes (Paraphrase über »Dies Irae«) (R 457), der bei seiner Uraufführung 1865 schlechte Kritiken erhalten hatte und danach kaum noch gespielt worden war. Remmert gab das Werk 1876 in Budapest in der Klavier-Solo-Fassung (Bearbeitung von Joachim Raff). Mit der Originalfassung für Klavier und Orchester konzertierte sie in 1878 Wien unter der Leitung von Josef Hellmesberger und und im Januar 1881 unter Carl Müller Hartung in Weimar. Den größten Erfolg errang sie schließlich bei der Tonkünstlerversammlung im Juni 1881 in Magdeburg, bei der sie die Komposition ohne vorherige Probe mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Arthur Nikisch präsentierte.9 Im Februar 1881, kurz nach der Aufführung des Totentanzes in Weimar, erhielt Remmert von Sophie Grossherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach den Titel einer Hofpianistin,10 den sie als Namenszusatz bis 1919 führte.11 In der Folge wurde sie unter anderem Ehrenmitglied des Circolo Promotore Partenopeo Giambattista Vico und der Bellini-Akademie in Catania (1882) sowie zur königlich dänischen und königlich rumänischen Kammervirtuosin (1883 und 1886) berufen.
1890 verließ Remmert Weimar und zog zurück nach Berlin. Bis 1900 gab sie ca. 100 Konzerte,12 verlegte sich jedoch immer mehr auf die Kammermusik. 1894 schloß sie sich mit dem Geiger Waldemar Meyer und dem Cellisten Anton Hekking zum Berliner Trio (bzw. Berliner Kammermusik-Trio) zusammen und rief in der Saison 1896/97 eine Beethoven-Konzertreihe ins Leben rief, die mit Beethovens Violinsonaten begann. 1900 wurde die Reihe mit Henri Petri und Georg Wille fortgesetzt. Im Frühjahr 1895 unternahm Remmert ihre letzte große internationale Tournee, die sie bis nach Ägypten führte.
Nach 1900 trat Remmert kaum noch solistisch auf13. Stattdessen widmete sie sich in Berlin zwei neuen großen Projekten, die von nun an ihr Leben bestimmten: der Franz-Liszt-Akademie und der Franz-Liszt-Gesellschaft. Die Franz-Liszt-Akademie, die sie 1900 als private musikalische Bildungsanstalt gründete, orientierte sich an den freien Meisterkursen Liszts und nahm Aspekte der Reformpädagogik auf. Den Schülerinnen und Schülern sollten in Vorbereitungsklassen ein breites musikalischen Wissen vermittelt werden. Ferner gab es eine akademische Ausbildungsklassen mit zahlreichen Sonderkursen zu Kammermusik- Ensemble-, Primavista-Spiel, Ästhetik, Musiktheorie, Akustik etc. sowie eine Selecta-Klasse für Pädagogen, in der nach Liszt’schen Grundsätzen unterrichtet wurde. Die Konzertklasse, mit Repertoirestudien für den Konzertgebrauch, war nach Vorbild von Liszts Meisterkursen kostenfrei; das Angebot richtete sich ausdrücklich auch an Frauen, die an der Akademie weit in der Mehrzahl waren. Bis 1918 wurden wurden ca. 420 Schülerinnen und Schüler unterrichtet,14, bedeutende Interpreten gingen aus der Akademie jedoch nicht hervor.
Die Franz-Liszt-Gesellschaft, gegründet 1905, verfolgte laut Gründungsurkunde drei Ziele: “Die Pflege der Musik im Geiste Franz Liszt’s, 2. Die Verbreitung der Erkenntnis seiner Persönlichkeit als Grundlage zu humanitären Einrichtungen, 3. Die Verbreitung der Kenntnis seiner Künste und Lehrgrundsätze als Grundlage einer neuen friedlichen Musik Pädagogik.”15 Zur Realisierung dieser Ziele sollte Liszts Musik “mustergültige musikalische Aufführungen” erfahren, sollten Vorträge zu dessen Leben und Werk gehalten werden und auch die “Gestaltung günstiger Schaffens und Lebensbedingungen für die Künstler”16 standen im Fokus - die Gesellschaft machte sich somit zur Aufgabe, in Not geratene Musiker zu fördern. Remmert konnte bedeutende Persönlichkeiten des Musiklebens werben: Der Pianist und Komponist Eugen d’Albert fungierte als Vorsitzender, Carl Klindworth als Ehrenvorsitzender. Im Laufe der Jahre traten unter anderem Edvard Grieg, Siegmund von Hausegger, César Cui, Nikolaj Rimski-Korsakow, Giovanni Sgambati, Arthur Nikisch, Max von Schillings, Hermine von Preußen, Christian Sinding und Siegfried Wagner der Gesellschaft bei. Obwohl nur als stellvertretende Vorsitzende geführt, blieb Remmert über 30 Jahre die treibende Kraft der Gesellschaft und war vor allem mit der Organisation von Musikfesten betraut, von denen sie von 1911 bis 1922 sieben realisieren konnte: Berlin, Sondershausen, Stendal, Altenburg (1911–1914), Meiningen (1918), Den Haag (1921) und Bad Kissingen (1922). Remmert trat dabei auch als Dirigentin des »Martha Remmert Solisten-Ensemble der Liszt-Gesellschaft«, einem von ihr 1910 gegründeten Männer-Vokalensemble, in Erscheinung und brachte bei der Liszt-Zentenarfeier 1911, dem ersten Musikfest der Franz-Liszt-Gesellschaft, ein Programm, das ausschließlich aus fast unbekannten Liszt-Liedern bestand. Während des Ersten Weltkrieges veranstaltete die Gesellschaft Hauskonzerte und Bunte Abende. Remmert begann ab 1914 öffentliche Vorträge zu Leben und Werk von Liszt zunächst in Deutschland und in den 1920er Jahren auch in den Niederlanden zu halten, bei denen sie auch KLavier spielte.17 In Zeiten der Weltwirtschaftskrise engagiert sie sich u.a. mit Wohltätigkeitskonzerten für notleidende Künstler, zu denen sie sich, ohne festes Einkommen, selbst zählen musste. Mit ihrem Martha-Remmert-Trio (mit Cornelis und Gerard Ijsselstijn) konzertierte sie 1923/24 in den Niederlanden, im Dezember 1928 trat Remmert, 75-Jährig, anlässlich des Geburtstags von Kaiserin Hermine von Preußen, die seit 1923 Schirmherrin der Liszt-Gesellschaft war, letztmalig als Pianistin vor die Öffentlichkeit. Die Franz-Liszt-Gesellschaft geriet im Zuge der Inflation und nach dem Tod vieler Liszt-Schüler in die Krise. Geplante Musikfeste in Meiningen und Coburg ließen sich nicht mehr realisieren, und die Gesellschaft verschwand, nicht zuletzt, da sie nicht in die Reichsmusikkammer eintrat, ab 1936 in der Bedeutungslosigkeit.18
Remmert hatte sich bereits 1933/34 nach Neuses bei Coburg zurückgezogen, wo sie ihre kranke Schwester Margaretha Benda pflegte. Zu ihren letzten Projekten gehörte das Drehbuch zu einem Liszt-Film, das sie 1929/30 verfasste. Da es in Deutschland an Interesse mangelte, bot sie es 1933 in Ungarn an. Die dortige Liszt-Gesellschaft behauptete aber, das Drehbuch nicht erhalten zu haben. Stattdessen wurde 1935 der Film Szerelmi álmok (»Liebestraum«) nach einem Drehbuch von Heinz Hille und Tivadar Lándor produziert.19
Martha Remmert verstarb am 24. Januar 1941 in Neuses.
1. Reger-Bezug
Am 13. Februar 1894 wurde in der Berliner Singakademie ein “Martha Remmert-Konzert” veranstaltet, bei dem die Pianistin, zusammen mit dem Geiger Karl Prill, dem Cellisten Julius Klengel und der Sängerin Elisabeth Gerasch, erstmalig als Kammermusikerin auftrat.1 Nur einen Tag später gab Reger am selben Ort mit einem Porträtkonzert sein Berliner Debüt. Für die Annahme, dass Reger und Remmert das jeweils andere Konzert besucht haben und sich bei diesem Anlass auch persönlich kennenlernten spricht die Beschäftigung mit Werken aus den jeweiligen Konzertprogrammen. Remmert spielte in Berlin unter anderem ein “Divertissement Hongrois” von “Schubert-Liszt”2. Mit diesem war sicherlich die Bearbeitung von Franz Schuberts ursprünglich vierhändigem Divertissement à la hongroise durch Franz Liszt gemeint, die dieser unter dem Titel Mélodies hongroises (d’après Schubert) für Klavier zweihändig in virtuoser (1840) und erleicherter Fassung (1846) (R 425 bzw. S 250) herausgegeben hatte. 3 Möglicherweise erhielt Reger durch Remmerts Aufführung den Anstoß zur Bearbeitung desselben Stücks (Schubert-B1), die spätestens im darauffolgenden Jahr fertiggestellt war (siehe Entstehung). Auf dem Programm von Regers Konzert wiederum stand unter anderem die Uraufführung seines Klaviertrios h-moll op. 2 durch den Komponisten am Klavier, begleitet von Waldemar Meyer (Violine) und Eugen Sandow (Violoncello).
Wohl durch diese Premiere auf das Werk aufmerksam geworden, bemühte sich Remmert, die sich noch im selben Jahr mit Meyer und Anton Hekking zum Berliner (Kammermusik-)Trio zusammengeschlossen hatte, um eine eigene Aufführung des Trios bei der Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) 1896 in Leipzig. Ihre Initiative scheiterte jedoch vermutlich am Veto von Hans von Bronsart von Schellendorf, dem Vorsitzenden des Vereins, der Remmert als Interpretin brüsk ablehnte.4 Von Remmert über die Entscheidung des ADMV in Kenntnis gesetzt, informierte der wütende Reger seinen ehemaligen Lehrer Adalbert Lindner in Weiden: “Hat man ja sogar im Comité des allgemeinen deutschen Tonkünstlervereins folgendes beschlossen: Das Trio op 2 von M. Reger wird in Leipzig bei der diesjährigen Versammlung nicht aufgeführt, weil sich M. R. zu wenig Verdienste um die Liszt’sche Richtung erworben hat. Punktum. Nämlich die Hofpianistin Martha Remmert wollte es spielen – u bekam diesen Bescheid auf Ihr Ansuchen. Selbige Dame hat zu Liszt’s Lebzeiten bei jeder Versammlung irgend eine Novität gespielt – nun tritt sie aus aus diesem edlen Verein, wie sie mir gestern schrieb.” (Brief vom 19. Mai 1896).5 Ob letztlich das Argument gegen Reger oder Bronsarts Vorbehalte gegen Remmert die Absage bedingten, ist nicht bekannt (das Ablehnungsschreiben ist nicht überliefert).
Reger würdigte das (wenngleich letztlich erfolglose) Engagement Remmerts mit der Widmung seiner Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 für Klavier zweihändig (Bach-B1 Nr. 4), die im September 1896 abgeschlossen war. Überdies dedizierte er der Pianistin auch die Fünf Humoresken op. 20, die im April 1899 im Druck vorlagen. Mit den Widmungen verband Reger sicherlich den Wunsch nach Aufführungen der Werke durch Remmert, die in den 1890er Jahren Bachs Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 in der bekannten Bearbeitung ihres Lehrers Carl Tausig im Repertoire hatte.6 Remmerts Karriere als Solo-Pianistin neigte sich jedoch bereits ihrem Ende entgegen. Sie legte ihren Fokus auf Kammermusik und war zumindest für die hochvirtuose Reger’sche Bach-Bearbeitung wohl bereits die falsche Adressatin.
auvh Aufführungen von anderen Reger-Werken durch Remmert sind nicht bekannt. Jedoch blieb der Kontakt bestehen und Reger veranlasste im Januar 1901 eine Notensendung an die Pianistin. Zudem plante er, sie anlässlich eines Liederabends im Berliner Bechstein-Saal zusammen mit dem Bariton Josef Loritz privat zu besuchen (vgl. Brief vom 3. Januar 1901 an Loritz). Für das Orgelkonzert am 12. Mai 1901 in der Berliner Garnisonkirche, bei dem Karl Straube unter anderem die Choralphantasie Wachet auf, ruft uns die Stimme op. 52 Nr. 2 uraufführte, erhielt Remmert eine Freikarte.7
Als Vorständin der Franz-Liszt-Akademie setzte Remmert mehrfach Reger’sche Werke auf das Programm der von ihr organisierten Musikfeste. So erklangen unter anderem beim ersten Musikfest 1912 in Sondershausen mehrere Reger-Lieder, gesungen von Anna Erler-Schnaudt, und 1914 in Altenburg brachte Franziska Bender-Schäfer mit der Herzoglichen Hofkapelle unter Reinhold Bender An die Hoffnung op. 124 zur Aufführung.8
Der Briefwechsel mit Reger hat sich im Nachlass Remmerts nicht erhalten.9
Object reference
Martha Remmert, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_pers_00013.html, version 4.0, 18th December 2025.
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