Wiesbaden, 15th February 1893
Max Reger to Adalbert Lindner
Weiden,
Stadtmuseum Weiden, Max-Reger-Sammlung,
L 17
- Max Reger
Lieber Freund!
Mit großem Erstaunen erfuhr ich, daß Du op 1 & 2 schon früher hattest […]
- Ausgewählte Orgelwerke Bach-B1
- Sonate d-moll op. 1
Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 134–137
Wilfried Jung, Der Künstlerbrief als Informationsquelle – am Beispiel Max Reger, Nürnberg 1970, S. 14
Hase-Koehler, S. 31f.
Adalbert Lindner, Max Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und künstlerischen Werdens, Stuttgart 1922, S. 290–291
1.
W. den 15. Febr. [1893]
Lieber Freund!
Mit großem Erstaunen erfuhr ich, daß Du op 1 & 2 schon früher hattest – wenigstens bei op 2 ist es der Fall – als ich; also die Klaviertechnik scheint Dir gut zu sein – dies ist wohl möglich – aber was Du schriebst von Brahmsscher unspielbarer Klavierschreibweise – so ist das nicht ganz richtig; meine Klaviertechnik ist ganz ähnlich wie Brahmssche; die Figuration die ich so liebe 2 zu 3 etc; die Verdoppelung der Terze c e durch unteres e; die Behandlung der linken Hand, die immer auf der Reise ist zwischen Baß & Tenor & Alt – das ganze ist weiter nichts als durchbrochener, z.T. orchestraler Klaviersatz – wie nun die Kritik heutzutage schreibt daß Brahms nicht klaviermäßig sei so ist das eben einer von den vielen Irrthümern den sie immer begeht; ich will nur ein Wort Dr. Riemanns anführen – er wüßte keinen Kritiker, dessen Verstand nur bis Schumann reichte. am allerliebsten würden sie Brahms in Acht u Bann erklären – aber das geht doch schwer; z.B. Bernsdorf, B. Vogel, Ehrlich wie haben sich die schon blamiert, unsterblich –
Nun möchte ich Dich noch um eines bitten, das zu verhindern, daß meine Eltern an Göring op 1 & 2 senden; das laß’ mich machen; meine Eltern schreiben dann wahrscheinlich recht unterthänig etc – u. das ist mir sehr unangenehm; ferner möchte ich Dich bitten, den Ausdruck „Genius“ nicht mehr zu gebrauchen; man braucht bloß das i aus zu lassen – u. ich glaube an keinen Genius sondern an feste stramme Arbeit; ich habe Gelegenheit junge Musiker, die Genius haben zu beobachten; z.B. Max Arend, der jetzt hier ist – ein Schrecken Riemann’s; z.B. Ötteking, der dies in seinen begeisterten Augenblicken sagt, wenn er ein vierstimmiges Chorliedchen geschrieben, das so schlecht & recht angeht – aber keine Spur von irgend einem Moment der wirklichen Schaffenskraft enthält – er wollte den Leuten schon zeigen was 4 stimmiger Satz wär; meine Sachen sind u. entstehen immer in vollkommenster Klarheit – aber unter keinem Gefühlsdusel.
Ich bin jetzt aus dem Konservatorium als Schüler ausgetreten; Fuchs hat vor mich nach & nach mit guter Gage in seinem Institute festzuhalten; das geht ja ganz gut; wenn mir der bis in einige Jahren ein festes Einkommen von 3000 M garantiert u. ich nebenbei durch Conzerte u Komposition doch auf eine ganz schöne Summe komme. Mannstädt, der Konzertmeister am hiesigen Theater, der nach Riemann der beste Klavierlehrer am Konserv. war – geht nach Berlin (Philharmonie) u. da hat mich Riemann vorgeschlagen für dessen Stelle am Kons. (3000 M) aber es scheiterte an meiner Jugend! Ja, das ist der Teufel, ich bin zu jung u. das steht mir sehr viel im Wege; aber es macht nichts; nach Riemanns Ausdruck gibt es z.B. hier 2 Klavierspieler; Mannstädt & ich; Mannstädt geht weg – also bleib ich übrig; ich habe da 3 Bachsche Orgel-Präludien & Fugen für Klavier arrangiert – zum Konzertgebrauch – ich will mal sehen ob Schott in Mainz sie vielleicht druckt; Riemann ist von der Bearbeitung so eingenommen, daß er z.B. zu Dr. Carl Fuchs, der 8 Tage hier war u. die G moll Phantasie & Fuge (v Liszt arrang.) [spielte,] sagte: Du Fuchs, da laß mal den Reger drüber kommen, der macht die Sache viel besser; u. seit der Zeit ermuntert er mich immer ich sollte es doch auch arrangieren. Ja, miserabel schwer, so daß Fuchs, ein riesiger Pianist, die Händ überm Kopf zusammen schlug; aber ich kann sie doch u. habe eine schon gespielt im Kons., nächstens (6. März) werde ich die eine (Prälud. & Fuge in Ddur) im Konzert im Kasinosaale spielen; nächsten Montag soll ich das Gdur Konzert (N 4) von Beethoven spielen; ferner habe ich mich schon angemeldet im Tonkünstlerverein in 4 Wochen die neuen Klavierstücke von Brahms (op 116 & 117) zu spielen; alles auswendig; habe vor das B dur Konzert von Brahms, Cmoll Beethoven, diesen Sommer einzuspielen; dann die Kreisleriana, Carneval[,] symphonischen Etuden, Intermezzi, Schumann, Chopin ein ganzer Haufen; Brahms 2 Rhapsodien etc;
Riemann sagte mir, wenn ich den D’Albert nicht unter kriegte, so wäre es meine Schuld; also man frisch los daran. Und so bin ich jetzt auf der Bahn des Klavierspielers angelangt – Composition Hauptsache selbstverständlich – u. es kommt mir etwas sehr zu statten, nämlich meine eisige Ruhe auf dem Podium; z B. letzthin concertierte ich hier im Kasinosaale (der feinste Saal Wiesbadens) mit einer Sängerin aus Dresden; ich spielte einige Solostücke; – bevor wir anfingen – da sagte sie, Hr Reger, geben Sie mir Ihre Hand – damit ich mich beruhige; in den Zwischenpausen, (2 große) da tranken wir Sekt; die Sängerin erklärte sie müßte Sekt haben ehe sie singen könnte; na ja, da tranken wir ihn halt; weiß noch, wie Riemann an dem Abend während der Pause ins Künstlerzimmer [kam] u. Brückner, von Niessen (die Sänge.) u. ich beim Sekt saßen u. ich qualmte was der Teufel hielt.
Leider ist Dr. Carl Fuchs sehr neidisch auf mich; er will zwar einen längeren Artikel über mich im musikalischen Wochenblatt bringen, wünscht aber daß ich zuerst einen über ihn bringe in demselben Blatte; es ist also unter Umständen sehr leicht möglich daß ich auch als Scribifax mich etwas bethätige – die nötige Schärfe bringe ich schon mit – wenn ich auch sehr lustig sein kann so daß an dem einem Abend bei Riemanns, Dr. Riemanns, Dr C. Fuchs u. ich u. selbstverständlich seine Frau (Riemann) so viel Witze machten, daß alle auf dem Boden lagen vor Vergnügen; ich lief eine ganze Zeitlang (5 Tage) von früh 8 – abend 12–1 Uhr mit Dr Fuchs umher – habe mich auch feste gestritten mit ihm – aber im allgemeinen wir kamen sehr gut aus – Riemanns Schoßhund bin ich halt einmal – u. ist Deine Befürchtung von Alkohol so zum Lachen als irgend etwas! Ich lachte fürchterlich darüber; ich konnte mir nicht helfen; da kennt Ihr mich denn doch schlecht denke ich; aber, es ist schon gut so also beruhige Dich ganz sanftestens – kann mich ja in meinem Spiritus sitzen sehen – aber betrunken sein mer nie.
Ich lege Dir Programm bei von nächsten Montag abends sieben Uhr. Morgen & Samstag sind Proben; ich habe auch die Orgel übernommen.
Nun wie gehts Deiner Familie; soll bei Dir nicht auch auf op 2 op 3 folgen? Wie? Wie?
Nun so hast Du mich mal wieder 5 Seiten lang gehabt, recht übermütig u. wahrhaftig wie ich stets bin
Dein
Max Reger
Bleichstraße 39 II
Etliche feine Witze hab’ ich auf Lager; alle großartig
Object reference
Max Reger to Adalbert Lindner, Wiesbaden, 15th February 1893, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007896.html, last check: 8th December 2024.
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