Görlitz, 6th March 1912

Max Reger to Georg II. Herzog von Sachsen-Meiningen

Object type
Letter
Date
6th March 1912 (source)
Sent location
Görlitz
Source location
missing

Senders
  • Max Reger
Recipients
Georg II.
Herzog von Sachsen-Meiningen

Incipit
Durchlauchtigster Herzog! Gnädigst regierender Herzog und Herr!
Für Ew. Hoheit so huldvollen Brief meinen unterthänigsten Dank; ebensolchen Dank für Rücksendung […]

Regesta
bedankt sich für die Rücksendung der Kritiken und Besprechungen aus der Kölner Zeitung • begründet wieso er die Einladungen zu gesellschaftlichen Ereignissen in Meiningen ablehnen muss • bewundert seine Frau, die mit seiner Arbeitswut zu recht kommt • möchte im Sommer: Konzert für Orchester im alten Styl op. 123, Triumphgesang op. 126, An die Hoffnung op. 124, Klarinettenquintett, eine romantische Suite op. 125 sowie Kinderlieder op. 76, Band VI, Nr. 52-60 komponieren sowie Bearbeitungen • hat gerade das Requiem mit Text von Hebbel beendet • beschreibt sein op. 126 • kündigt an am 12. März eine Liste mit Vorschlägen der Personen, die eine Auszeichnung bekommen sollen u.a. Karl Straube und Gertrud Fischer-Maretzki • am 14. März wird er eine Prüfung am Lehrerseminar zu Hildburgshausen abnehmen • hat ein anstrengendes Programm zu dirigieren
Remarks
Referenced works

Publications

Max Reger, Briefwechsel mit Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, hrsg. von Hedwig und Erich Hermann Mueller von Asow, Weimar 1949, S. 139–142

1.

[Hotel „Vier Jahreszeiten“
Görlitz, den] 6. März 1912

Durchlauchtigster Herzog!
Gnädigst regierender Herzog und Herr!

Für Ew. Hoheit so huldvollen Brief meinen unterthänigsten Dank; ebensolchen Dank für Rücksendung der Kritiken u. der Besprechung aus Kölnischer Zeitung. – Herr Kirchenmusikdirektor Mühlfeld hat sich noch nicht mit mir in Verbindung gesetzt. – Vielleicht scheut er mich – wie ja 99% der ganz „waschechten“ Brahmsianer heiliges Entsetzen vor mir haben. Ich bewundere die Meininger immer mehr; jeden Tag u. jeden Tag ist „was los“! Woher die Leute das Geld u. die Zeit nehmen, ist mir ganz unerklärlich. Dabei wird „egal“ über die schlechten Zeiten etc etc gejammert – für Maskenbälle etc etc – da ist immer Geld vorhanden. Überhaupt man wird sich in Meiningen bald über mich beschweren. Nämlich: ich kann unmöglich all diese Einladungen zu Thee’s, Diners, Soupers einl annehmen – u. habe alle derartigen Einladungen in Meiningen abgelehnt u. werde das auch in Zukunft thun. Man wird mir das als Hochmut etc auslegen, kräftiglich darauf schimpfen – aber trotz alledem: ich kann es nicht. Ich habe außer meiner Stellung als Hofkapellmeister noch die Verpflichtung zu schaffen, wie denn Komponieren sozusagen mein „Hauptberuf“ ist; dann kommen außer den Concertreisen der Meininger Hofkapelle noch meine eigenen Concerte, meine Stellung am Leipziger Konservatorium. Seit 15 Jahren hab’ ich nicht 5 zusammenhängende freie Tage gehabt – immer gearbeitet. Und da wird heutzutage ein Luxus getrieben, daß ich fast mich geniere, die Leute in unser so einfaches ganz prunkloses, nur der Arbeit dienendes Heim in Meiningen einzuladen. Zu bedauern ist meine arme Frau, die ihr Schicksal an so einen „fanatischen“ „Arbeitskoloß“ gekettet hat; wir sind jest [sic] 9 1/2 Jahre verheiratet u. irgend Erholung, Vergnügungsreise – gar nichts, gar nichts hat die arme Frau gehabt als Entsagung u. wieder Entsagung alles dessen, was die Welt unter Freude u. Glück kennt – nur Arbeit, schwere Arbeit hat sie kennen gelernt. Ich verehre deshalb auch meine Frau als Märtyrerin meiner musikalischen schöpferischen Begabung, die mich zur rastlosen Arbeit zwingt. Im Sommer dieses Jahres, werde ich nun folgende Werke schreiben:

1.) Concert für Orchester im alten Styl [op. 123].
Seiner Hoheit Herzog Georg von Sachsen-Meiningen ehrfurchtsvollst zugeeignet

2.) Triumphgesang für Männerchor mit Orchester [op. 126]

3.) Scene u. Arie für Alt mit Orchesterbegleitung [An die Hoffnung op. 124]

4.) Quintett für Klarinette, 2 Violinen, Bratsche u. Violoncello [op. 146]

5.) 3 Stücke für großes Orchester, die voraussichtlich folgende Titel erhalten werden a) Notturno b) Elfenreigen c) Helios. [Eine romantische Suite op. 125]

6.) Kinderlieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. [Opus 76 Band VI]

Außerdem werde ich noch eine Reihe von Bearbeitungen machen. Soeben habe ich den wundervollen Text „Requiem“ von Hebbel für Männerchor a capella komponiert [Opus 83 Nr. 9], welches Werk in diesem Sommer bei[m] eidgenössischen Sängerfest als Festchor gesungen wird. Betreff des Ew. Hoheit ehrfurchtsvollst gewidmeten „Concerts für Orchester im alten Styl“ [op. 123] so gestatte ich mir, Ew. Hoheit unterthänigst darauf aufmerksam zu machen, daß ich in diesem Werke, wieder eine alte wundervolle Form beleben werde, die seit Händel[s] „Concerti grossi“ Bach’s 6 Brandenburgischen Concerten nicht mehr „bebaut“ worden ist – also fast 200 Jahre sozusagen „verloren“ war. Ich hoffe sehr, daß der allmächtige Gott mir [sic] so viel schöne Musik schreiben läßt, daß mein Werk der so hohen Auszeichnung, den durchlauchtigsten Namen Ew. Hoheit als Widmung zu tragen, einigermaßen würdig wird und auch der so hohen Auszeichnung, nachdem Ew. Hoheit für alle Zeiten in der Kunstgeschichte mit größter Ehrfurcht und Verehrung als leuchtendes Vorbild genannt werden.

Nächsten Dienstag 12. März werde ich mir unterthänigst gestatten, an Ew. Hoheit ein Schreiben abzusenden, in dem ich mir unterthänigst erlaube, Ew. Hoheit die Auszeichnungen zu beantragen anläßlich des Allerhöchsten Geburtstages Ew. Hoheit. Schon jetzt möchte ich mir unterthänigst gestatten Ew. Hoheit um Vergebung zu bitten, wenn ich mit folgendem in dem Schreiben eine „Entgleisung“ begehe. Ich werde mir unterthänigst gestatten Ew. Hoheit zwei Persönlichkeiten zur Auszeichnung vorzuschlagen, die zwar in keiner Beziehung zu Sachsen-Meiningen stehen, aber im Dienste der Musik sich große Verdienste erworben haben: es sind das 1. Herr Prof. Karl Straube, Leipzig, Dorotheenplatz 1/III, Organist an St. Thomae; der Herr ist Deutschlands [dreifach unterstrichen:] größter Organist jetzt, hat sich also solcher und als Dirigent des Bachvereines zu Leipzig ganz außergewöhnliche Verdienste erworben; für diesen Herrn gestatte ich mir unterthänigst, das Ritterkreuz erster Klasse des Ernestinischen Hausordens zu beantragen. 2. gestatte ich mir für Frau Gertrud Fischer-Maretzki, Berlin W, Lützowstraße 67/II, eine unserer besten Concertsängerinnen, die sich seit Jahren durch Pflege eines wahrhaft vornehmen Vortrages (Altstimme) und Programms auf das „Vorteilhafteste“ bekannt gemacht hat, den Titel als „Herzoglich Sachsen-Meining’sche Kammersängerin“ unterthänigst in Vorschlag zu bringen.

Ich weiß ja nicht, ob Ew. Hoheit mein unterthänigster Vorschlag, auch solchen Personen Auszeichnungen zu verleihen, die nicht zu Sachsen-Meiningen in Beziehung stehen, sympathisch ist; aber ich darf Ew. Hoheit wohl unterthänigst bitten, davon überzeugt zu sein, daß ich nur solche Persönlichkeiten zu Auszeichnungen mir vorzuschlagen erlaube, die sowohl als Künstler, wie auch als Mensch u. Gesinnung nach solcher Auszeichnungen würdig sind.

(Frau Dr. Fischer hat in diesem Winter zweimal mit größtem Erfolge in Meiningen gesungen.) – Sollte dieser mein unterthänigster Vorschlag Ew. Hoheit nicht sympathisch sein, so bitte ich unterthänigst, mir darob nicht zu zürnen.

Sonst werde ich mir noch unterthänigst gestatten Ew. Hoheit einige Auszeichnungen an Mitglieder vorzuschlagen. Ich werde dieses Schreiben am Montag 11. März abends schreiben u. am Dienstag 12. März vormittags aufgeben zur Post. Auch sende ich dann Ew. Hoheit noch einige Kritiken.

Am 14. März nachmittags halte ich also die Prüfung im Lehrerseminar zu Hildburghausen ab; ich werde nicht verfehlen, Ew. Hoheit darüber allerbaldigst Bericht zu erstatten über das Ergebnis. Ein höchsterfreuliches Zeichen für den musikalischen Sinn der Thüringer: wir sind gebeten worden in Hildburghausen zukünftig zwei statt einen Kammermusikabend im Winter zu machen; auch Salzungen bat noch um einen Kammermusikabend in diesem Winter. Mir macht es ja so eine Riesenfreude, den musikalischen Sinn der Meining’schen Bevölkerung zu beleben und zu fördern.

Ich habe heute hier sehr anstrengendes Programm zu dirigieren; 2 1/2 Stunden komme ich nicht vom Podium herunter; heute früh 4 1/2 Stunden stramm geprobt mit dem hiesigen Orchester, das sich in keiner Weise mit der Meining’schen Hofkapelle messen kann.

Darf ich zum Schlusse noch meine herzlichsten Wünsche für Ew. Hoheit u. gnädigster Frau Baronin Befinden anknüpfen u. zugleich meinen ehrfurchtsvollsten Gefühlen Ausdruck verleihen?

Ew. Hoheit unterthänigster Diener
Dr. Max Reger.

Object reference

Max Reger to Georg II. Herzog von Sachsen-Meiningen, Görlitz, 6th March 1912, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01012272.html, version 3.1.4, 2nd May 2025.

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